Liebe Aktivistinnen, liebe Freundinnen und Freunde,
wir haben am Samstag, den 08. Oktober 2022 eine erfolgreiche Kundgebung „Solidarität mit den mutigen Kämpfen der Frauen im Iran“ am Kirchplatz St.Stephan in Karlsruhe durchgeführt. Mehr als 250 Teilnehmende haben ihre Unterstützung gezeigt. Die Kundgebung war inhaltlich feministisch und internationalistisch ausgerichtet. Dazu gab es Redebeiträge der Feministischen Intervention, des Migrantinnenvereins, des Kurdischen Gesellschaftszentrums, der GiordanoStiftung und der Interventionistischen Linken. Die Beiträge, die uns in schriftlicher Form vorliegen, sind als Anhang beigefügt.
Toll war auch die Unterstützung von Ali Baran, der ein kämpferisches Frauenlied vortrug und die Unterstützung der Trommelgruppe. Wir verfolgen weiterhin die Entwicklung im Iran und werden am Freitag, den 28.10.2022 eine Veranstaltung mit Mina Ahadi durchführen. Die politische Situation im Iran und die Entwicklung der Frauenkämpfe werden dann nochmals genauer beleuchtet werden und es wird Platz für Diskussionen und Austausch geben.
Solidarität mit den mutigen Kämpfen der Frauen im Iran! „Jin Jiyan Azadî“ (Frau Leben Freiheit) - Veranstaltung in Karlsruhe mit Mina Ahadi u.A. Vorsitzende des „Komitees gegen Steinigung im Iran“ und Kämpferin für Frauenrechte Freitag, den 28.Oktober 2022, 19 Uhr im „Roten Stern im Gewerbehof“, 2.OG,, Steinstr.23, KA
Bei einigen Teilnehmerinnen gab es offensichtlich Irritationen über unseren Umgang mit iranischen Flaggen und dem Redebeitrag einer Frau, den wir nicht als Teil unserer Kundgebung verstehen wollten. Deshalb wollen wir hier noch auf die Hintergründe unserer Haltung eingehen.
Wir hatten im Vorfeld unserer Kundgebung bereits versucht, mit anderen Akteuren aus dem exiliranischen Spektrum Kontakt aufzunehmen, um abzuklären, ob Gemeinsamkeiten möglich sind. Wir haben jedoch keinerlei Reaktion erhalten.
Von Freundinnen und Freunden mit iranischem Hintergrund haben wir im Vorfeld auch darüber Kenntnis erhalten, dass in verschiedenen Städten bei entsprechenden Kundgebungen es zu Auseinandersetzungen um iranische Flaggen und insbesondere Anhänger und Anhängerinnen der Monarchisten gekommen ist. Für uns war aus verschiedenen Gründen deshalb klar, dass wir vor unserer Kundgebung deutlich machen, dass wir weder Nationalflaggen noch Schah-Flaggen auf unserer Kundgebung sehen möchten.
Bei der Demo und Abschlusskundgebung der exiliranischen Kräfte wurden eine Reihe von Nationalflaggen und auch Flaggen des Schah-Regimes mitgeführt. Dass deren Kundgebung direkt neben unserer Kundgebung endete, war weder mit der Stadt abgesprochen, noch hatten wir davon Kenntnis. Wir haben trotzdem dazu aufgefordert, auch an unserer Kundgebung teilzunehmen, aber eben ohne die entsprechenden Flaggen.
Um was geht es dabei? Die Flagge mit den Löwen im Mittelpunkt der Flagge ist die Flagge der verschiedenen Monarchien im Iran und zuletzt auch der Palavi-Dynastie. Sie war die Flagge bis 1979, als der Schah dann gestürzt wurde. Während der Schah-Diktatur, die ja vom Westen, auch von der Bundesrepublik unterstützt wurde, sind Zehntausende politische Freudinnen und Freunde ermordet worden, in den Gefängnissen jahrelang gequält worden. Folter war allgegenwärtig. Auch bei unserer Kundgebung waren Teilnehmende, die selbst noch Erfahrungen als Oppositionelle mit dem Schah-Regime hatten. Nach dem Sturz des Schah-Regimes 1979 wurde dem Schah in den USA Asyl gewährt. Sein Sohn setzt sich von den USA aus seit Jahren in Szene und bietet sich als Alternative für den Iran an. Die Schah-Anhänger selbst haben im Iran keine politische Basis. Im Rahmen der aktuellen Kämpfe im Iran versuchen sie im Ausland an die Kundgebungen anzuknüpfen, um sich dort als Teil der Bewegung präsentieren zu können. Dies sind sie aber nicht, und es wäre von unserer Seite aus völlig unmöglich, diese Fahnen der Schah-Diktatur auf unserer Kundgebung zu akzeptieren.
Die aktuelle Nationalfahne des Iran wurde 1980 eingeführt und ist die Nationalfahne des MullahRegimes. Hierzu ist zu sagen, dass es bei dieser Fahne natürlich völlig unverständlich ist, wie man sie bei einer Aktion zur Unterstützung der aktuellen Kämpfe mitführen kann. Außerdem ist der Iran ein Vielvölkerstaat und die Mehrheit der Menschen in Kurdistan oder Belutschistan oder auch die arabische Minderheit im Süden akzeptiert diese Fahne nicht als Identifikationssymbol. Für Menschen z.B. aus Ostkurdistan/Iran ist diese Fahne ein Ausdruck eines Unterdrückungssystems. Es gibt also gute Gründe, bei einer feministisch organisierten Kundgebung, bei der viele Freundinnen und Freunde z.B. aus Kurdistan, aber auch den umliegenden Ländern des Iran, anwesend waren, deutlich zu machen, dass diese Fahnen auf unserer Kundgebung nichts zu suchen haben. Auch Bemerkungen gegenüber uns, da drückten sich Heimatgefühle aus oder das dürfe man eben nicht so eng sehen, können wir auf dem vorgenannten Hintergrund nicht zustimmen.
Eine Frau – offensichtlich mit iranischem Hintergrund -, die wir nicht kannten, von der wir ihren Namen nicht wissen, hat sich am Schluss in unsere Kundgebung hineingedrängt. Warum haben wir ihr nicht einfach das Mikrofon überlassen? Diese Frau, die wir nicht kannten, hatte eine Fahne mit den Symbolen des Schahs umgehängt und hat von Anfang an, bevor unsere Kundgebung eigentlich begonnen hatte, sehr aggressiv auf unsere Forderung, die entsprechenden Fahnen nicht zu zeigen, reagiert. Sie hat sich ganz offensichtlich als Unterstützerin dieser politischen Strömung, zumindest nach außen, dargestellt. Die Frauen im Iran wie auch generell die Gesellschaft im Iran ist politisch sehr divers. Im Moment sind die Menschen hauptsächlich darin vereint, das Mullah-Regime abzuschaffen. Die Frage, was dann die Perspektiven sind und auf welcher Grundlage eine andere Gesellschaftsordnung geschaffen werden könnte, wird die zentrale Auseinandersetzung der Zukunft sein. Die Diskussionen beginnen natürlich bereits. Bei den Kundgebungen wurden diese Fragen bisher ausgeklammert. Die Frau, die wir nicht kannten, hatte einen Katalog von Forderungen bei sich, die sie auch als Flugblatt verteilt hat, die genau den Forderungen des US-Imperialismus entspringen und die unserer Meinung nach nicht geeignet sind, einen emanzipatorischen Kampf der Frauen und aller Menschen im Iran zu unterstützen und voranzubringen. Weder die USA noch die NATO noch die Bundesrepublik Deutschland haben ein wirkliches Interesse an einer fortschrittlichen und emanzipatorischen Entwicklung im Iran. Es geht ihnen in der Region um militärische und wirtschaftliche Macht, Neugestaltungen der Länder des Nahen und Mittleren Ostens mit dem Ziel, ihre politischen Optionen durchzusetzen. Die Forderungen, die auf dem Flugblatt der bezeichneten Frau standen und die sie dann auch vorgelesen hat, sind unserer Meinung nach in der Sache kontraproduktiv. Da ging es zunächst um den Punkt, jegliche Gespräche mit dem Iran über ein Atomprogramm sofort einzustellen. Dies wird von den Reaktionären in den USA seit langem verlangt. Es ist gerade, wenn es um die Atommachtfrage geht, jedoch zwingend nötig, eine Auseinandersetzung zu führen, um zu Absprachen im Sinne der Menschen zu kommen. Es ist natürlich dabei auch zu berücksichtigen, dass diejenigen, die bisher die Atombombe eingesetzt haben, die USA gewesen sind und gerade die Länder, die über die meisten Atombomben verfügen, einen Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet haben. Die nächste Forderung war die nach Sanktionen gegenüber dem Iran und einzelnen Vertretern des iranischen Regimes. Sanktionen gegenüber dem Iran sind nicht neu, sie wurden bisher langzeitig von Staaten wie den USA verhängt. Sie haben bisher die Führung des Iran nicht getroffen, sondern wirken sich vor allem negativ auf die Bevölkerung aus. Völlig unklar bleibt bei dieser allgemeinen Forderung auch, wer sie denn in welchem Auftrag beschließen soll, welchen Umfang sie haben sollten oder wer letztlich entscheidet, wer unter welchen Kriterien betroffen sein soll. Die USA ist mit Sicherheit bei ihrer eigenen kriegerischen Vergangenheit und ihrem Kriegskurs in der Welt nicht die moralische Instanz, die hier glaubwürdig agieren könnte. Ein weiterer Punkt betraf die Forderung, alle Personen in der Bundesrepublik Deutschland, die das Mullah-Regime unterstützen, sofort auszuweisen. Was heißt hier Unterstützung im Einzelnen und wer entscheidet hierüber?
Wenn solche Standpunkte gegen unseren Willen auf unserer Kundgebung vorgetragen werden, dann erlauben wir uns auch, am Schluss darauf hinzuweisen, dass dies kein Beitrag im Rahmen unserer Kundgebung war und auch darauf hinzuweisen, warum wir eine politische Orientierung wie die, die von der uns unbekannten Frau vorgetragen wurde, nicht unterstützen können. Die zentrale Forderung der Kundgebungen „Frauen, Leben, Freiheit“ ist jedenfalls mit nationalistischen Aussagen und Verniedlichung der Schah-Diktatur nicht vereinbar. Wir hoffen zur Einschätzung der Ereignisse beigetragen zu haben.
Frauengruppe Feministische Intervention Karlsruhe